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Das politische Wirken von Karl Henzel aus Obbornhofen

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July 2021

Am 09.02.1957 wurde Karl Henzel in der Jahreshauptversammlung des SPD Ortsvereins Obbornhofen „für über 60 jährige Mitgliedschaft“ in der SPD geehrt. Die Ehrung nahm der Genosse Beppler vom Unterbezirk Gießen vor.

Am 09.02.1957 wurde Karl Henzel in der Jahreshauptversammlung des SPD Ortsvereins Obbornhofen „für über 60jährige Mitgliedschaft“ in der SPD geehrt. Die Ehrung nahm der Genosse Beppler vom Unterbezirk Gießen vor. Er würdigte die Verdienste des „ältesten Genossen im Landkreis Gießen“ und überreichte ihm eine Ehrenurkunde. Zu diesem Zeitpunkt war Karl Henzel 80 Jahre alt. Er konnte auf ein bewegtes und bewegendes (politisches) Leben zurückblicken.

Karl Henzel wurde am 01.08.1876 in Obbornhofen als Sohn des Straßenmeisters Johann Georg Henzel und dessen Ehefrau Elisabeth, geb. Leschhorn geboren. Seine Eltern hatten vor dem Krieg 1870/71 längere Zeit in Frankreich gelebt. Einige seiner Geschwister kamen dort zur Welt.

Karl Henzel ging in Obbornhofen zur Schule, die damals im heutigen Heimatmuseum untergebracht war. Nach der Schulzeit erlernte er den Beruf des Maurers. Diesen musste er
aufgeben, nachdem er seinen linken Unterarm durch einen Unfall beim Dreschen verloren hatte. Im selbst gebauten Haus in der heutigen Vogelsbergstraße eröffnete er 1903 die Gaststätte „Zur neuen Welt“ und verdiente fortan den Lebensunterhalt seiner Familie als Gast und Landwirt. Im Jahre 1926 erfolgte der Um und Ausbau der Gastwirtschaft mit nunmehr angeschlossenem Saal, der von 1951 bis 1963 mit 200 Sitzplätzen als Kino „Lichtspielhaus neue Welt“ genutzt wurde. Schon im November 1929 hatte Karl Henzel für den Gaststättenbetrieb die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Empfangsanlage für den Unterhaltungsrundfunk erhalten.

Karl Henzel mit weißer Schürze bei einem Jahrgangstreffen im Hof der Gaststätte

Bereits vor der Jahrhundertwende trat Karl Henzel in jungen Jahren in die SPD ein. A ls Arbeiter war er von den Grundprinzipien dieser Partei überzeugt. Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit war die Leitschnur seines politischen Handelns. Bis ins hohe Alter blieb er ein politisch denkender und sich für das Gemeinwesen engagierender Mensch.

Von 1904 bis 1908 gehörte Karl Henzel dem Provinzialtag (umgangssprachlich auch Provinziallandtag genannt) der Provinz Oberhessen an. Es handelte sich um die Volksvertretung auf Provinzebene im Großherzogtum Hessen, zu dem neben Oberhessen noch die Provinzen Rheinhessen und Starkenburg zählten. Der Provinzialtag entschied über das Budget der Provinz und über alle Fragen der Selbstverwaltungsangelegenheiten der Provinz. Seit 1907 war Karl Henzel auch Mitglied des Gemeinderates in Obbornhofen.

Nach dem 1. Weltkrieg nahm er zunächst eine Tätigkeit als Vertreter einer in Frankfurt am Main ansässigen Firma wahr. Diese Firma verlegte Feldbahngleise. Er war nun viel mit der Bahn unterwegs. Dies hinderte ihn freilich nicht, sich weiter in seinem Ort für das öffentliche Wohl einzusetzen.

Bei einer Direktwahl kandidierte er 1919 für das Amt des Beigeordneten. Von 318 gültigen Stimmen entfielen 209 auf ihn und 109 auf seinen Gegenkandidaten Heinrich Ruppel XI. Die nachfolgende Wahl im Jahre 1924 ging hingegen denkbar knapp aus. Karl Henzel erhielt 127 Stimmen, der Gegenkandidat Karl Reitz 121 Stimmen. Während seiner Tätigkeit als Beigeordneter erfolgte im Jahre 1928 in Obbornhofen der Bau der Wasserleitung und der Kanalisation. Karl Henzel führte auch mit der Firma Hentschel mit Sitz in Kassel Gespräche über eine Werksansiedlung im Bereich des Hofguts. Die Verhandlungen waren schon weit fortgeschritten, scheiterten aber letztlich an den durch die Inflation hervorgerufenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten.

Längst hatte sich Karl Henzel durch seine Persönlichkeit und sein politisches Wirken vor und unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg einen Namen gemacht. Von 1921 bis 1924 gehörte er als Abgeordneter dem Landtag des Volksstaates Hessen an. In dieser Zeit pflegte er gute Kontakte zu seinem „Fast Namensvetter“ Karl Hensel aus Dortelweil, der Landtagsabgeordneter einer konkurrieren den Partei war.

In der Nazizeit blieb Karl Henzel eine Fortsetzung seiner politischen Aktivitäten verwehrt. Das Sagen hatten nun antidemokratische Kräfte. In Obbornhofen bildete sich eine Gruppe von strammen und überzeugten Nationalsozialisten, die politisch Andersdenkenden gelinde gesagt nicht wohl gesonnen war und dies offen zeigte. Wie überall in Deutschland richteten sich Hass und Feindseligkeit vor allem gegen die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Beim Novemberpogrom 1938 wurde das Innere der Synagoge in der Kommenturgasse zerstört. Auf Anweisung des NSDAP Ortsgruppenleiters trug eine große Gruppe zehn bis zwölfjähriger Kinder die Ritualien und weitere Einrichtungsgegenstände auf eine Wiese, wo sie verbrannt wurden. Oswald Henzel, der 90 jährige Enkel von Karl, berichtete zudem von der Schändung des jüdischen Friedhofs durch die Nazis.

Karl Henzel war den örtlichen Nazis wegen seiner politischen Überzeugung ein Dorn im Auge. Sie zogen vor seinem Wohnhaus auf und brüllten feindselige und hasserfül lte Parolen. Ziel dieser Einschüchterung war es, ihn zum Eintritt in die NSDAP zu bewegen. Dies misslang. Karl Henzel ließ sich nicht „umbiegen“. Dafür zahlte er einen hohen Preis.

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 verhaftete ihn die Gestapo und brachte ihn zum Bahnhof nach Gießen. Dort erlitt er einen Schwächeanfall. Eine Krankenschwester sah dies und wollte ihm einen Becher Wasser geben. Dies unterband der auf dem Bahnsteig anwesende und den Abtransport beaufsichtigende Gießener Gestapoer Gestapo-Chef Schneider. Er schlug der Krankenschwester den Becher mit einem Stock aus der Hand und stieß den Stock anschließend in den Unterleib von Karl Henzel. Als Ziel des Transportes war das Konzentrationslager Auschwitz vorgesehen. Weil es dort einen Bombenalarm gab, wurde kurzfristig das Konzentrationslager Dachau angesteuert.

In Dachau teilte Karl Henzel die Zelle mit einem jungen Mann. Jeder misstraute dem anderen. Sechs Wochen wechselten sie kein Wort miteinander. Erst dann näherten sich langsam an. Bei dem jungen Mann handelte sich um einen katholischen Pfarrer. Karl Henzel musste die unvorstellbaren Gräuel der Nazischergen miterleben. Männer, Frauen und Kinder verloren auf grausame und bestialische Weise ihr Leben. Er selbst konnte das Lager als freier Mann verlassen.

Nach seiner Rückkehr nach Obbornhofen ließ er sich nicht von Hassgefühlen leiten. Als ihn nach Kriegsende der Kommandant der amerikanischen Militäreinheit nach den Namen der in Obbornhofen aktiven Nazis fragte, gab er diese nicht preis. Er sagte allerdings im späteren preis. Er sagte allerdings im späteren Prozess gegen den Gießener Gestapochef Schneider aus. Das Ansinnen des amerikanischen Kommandanten, kommissarischer Bürgermeister zu werden, schlug er aus. Stattdessen schlug er seinen Sohn Erich vor. Dieser bekleideseinen Sohn Erich vor. Dieser bekleidete anschließend mit Ausnahme einer Amtsperiode te anschließend mit Ausnahme einer Amtsperiode über einen Zeitraum von 32 Jahren bis zur Eingemeindung im Jahre 1977 in Obbornhofen das Amt des Bürgermeisters.

Karl Henzel war von 1946 bis 1956 Abgeordneter des Kreistages des Landkreises Gießen, die letzten vier Jahre als Alterspräsident. Seit dem 01.11.1946 war er als 1. Vorsitzender „der bäuerlichen Organisation Oberhessens“ für die SPD tätig. . Im Jahre 1948 ernannte ihn der Gemeinderat wegen seiner er Gemeinderat wegen seiner besonderen Verdienste zum Ehrenbürger von Obbornhofen. An der Gründungsversammlung des SPD am 26.04.1956 nahm er ebenso teil wie an den nachfolgenden Versammlungen, zuletzt am 05.11.1958.

Ausweis der SPD, Kreis Gießen vom 01.11.1946

Sitzung des Kreistages nach dem 2. Weltkrieg

Er verstarb vor 60 Jahren am 10.01.1959 in Obbornhofen. Sein Leben lang war seiner politischen Überzeugung und seinen Wertvorstellungen treu geblieben. In einem Nachruf der Kirche hieß es:
„Politik war für ihn die Kunst des Möglichen, die er mit Anstand und Achtung vor der Meinung des Andersdenkenden bis an sein Ende geübt hat.“


Hungen Obbornhofen, März 2019

Quellen:

- Protokolle des SPD Ortsvereins Obbornhofen aus den Jahren 1956 bis 1959
- Stadtarchiv Hungen Bestand Obbornhofen, Verz.Nr. XV.2a.1.15 und 17
- Heinrich Grölz in: Chronik 1200 Jahre Obbornhofen
- Johannes Fritzsche in: Chronik 1250 Jahre Obbornhofen
- Hessische Abgeordnete 1820 1933 in: Hessische Historische Kommission Darmstadt 2008
- Wikipedia Karl Henzel
- Wikipedia Provinzialtag (Hessen)
- Gespräche mit Oswald Henzel am 18.02.2019 und am 04.03.2019

Gerald Hänsel
Autor dieses Beitrags
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